Dienstag - 19.03.2024
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Der nackte Wein

Inhaltsverzeichnis


Immer mehr Menschen kommen auf den Geschmack und schätzen Naturwein, manche auch Orange Wein oder Amphorenwein. Aber was ist das eigentlich genau?


Aufgeschlossene Winzer, die aus den tradierten, immer technischer werdenden Methoden Wein herzustellen, ausbrechen wollen, wurden lange belächelt. Jetzt werden ihre Weine in den besten Lokalen ausgeschenkt, weltweit exportiert und erzielen Höchstpreise. Da können die Georgier nur müde lächeln. Die vergraben ihren Wein in Tongefäßen schon seit immer. Die Römer haben es ihnen nachgemacht. Nur während der Sowjetzeit wäre ihre spezielle Kunst Wein zu machen fast ausgestorben. Sie wurden gezwungen in Stahltanks Massenwein zu produzieren. Ihren Quevri-Wein (Quevri = Amphoren) stellten sie nur noch für den Hauskonsum und den Schwarzmarkt her.

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Die Methode

Die Georgier vergraben ihre zerquetschten Trauben mit Schale, Kernen und Stilen und den auf ihnen sitzenden Naturhefen in Tongefäßen. Dann kann die Maische bei konstanten Temperaturen und fast unter Ausschluss von Sauerstoff gaaanz langsam gären. Es kommt zu einer Maischegärung plus Mikrooxidation. Dabei werden ganz viele Tannine und Polyphenole gebildet – mehr als sonst. Das macht die Weine sehr extraktreich und lang im Abgang, aber auch aromatisch gewöhnungsbedürftig. Beim gleichen Verfahren mit weißen Trauben erhält man den so genannten Orange Wine: trübe, deutlich dunklere Weißweine, die noch gewöhnungsbedürftiger schmecken.

Diese Methode haben zuerst Winzer im Friaul und vor allem jenseits der Grenze auf slowenischem Gebiet übernommen. Auch auf Istrien gibt es berühmte Orange Wine-Produzenten. Mittlerweile versucht man das auch in Frankreich, Deutschland und Österreich. Da diese Methode fehleranfällig ist – schon leichte Verunreinigungen können zu massiven Fehltönen führen (man kann ja nicht kellertechnisch nachhelfen) -, sind diese Weine nicht unumstritten. Da sie eh so seltsam schmecken, ist die Grenze für Neulinge (und auch Profis!) oft unklar: Ist dieser Wein noch gut?

Naturwein

Weniger radikal ist die Erzeugung von Naturweinen, die auf Englisch viel schöner Naked Wine oder Artisan Wine, auf Französisch Vin vivant heißen. Die werden nicht in Amphoren in der Erde vergraben. Bei ihnen lassen die Winzer aber auch so gut wie alles weg, was sie in den Weinbauschulen gelernt haben: Spritzen, wenig Düngen, wenig bis kein Maschineneinsatz, keine Filtration außer einer natürlichen Klärung, manchmal auch den Schwefel. Man möchte den Wein einfach machen lassen, was ihm die Natur vorgibt. Oft wirtschaften solche Winzer biologisch, meist sogar biodynamisch, nicht immer lassen sie sich dafür zertifizieren. Ihre Kunst spielt sich in erster Linie im Weingarten ab. Sie setzen wie die Georgier statt der Reinzuchthefen natürlich vorkommene Hefen zur Gärung ein. Das verlangsamt die Gärung wie beim Orange Wine, macht die Gärung weniger kontrollierbar, gibt den Weinen aber mehr Aromen und eine bessere Farbe.

Diese auch Spontanvergärung genannte Methode gibt es auch beim Bierbrauen, wenn man mit offenen Bottichen arbeitet. Das A & O ist absolute Hygiene im Keller, damit es nicht zu Wein- oder Bierfehlern kommt. Das Ergebnis ist vor allem beim Wein deutlich anders, aber längst nicht so gewöhnungsbedürftig wie beim Amphorenwein. Vermutlich hat so Wein früher geschmeckt, bevor die Önologie aus ihm ein immer gleiches, perfekt kontrolliertes Handelsprodukt gemacht hat. Im besten Fall ist es wirklich aufregend.

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