
Das Marktsegment vegetarischer und veganer Produkte wächst rasant, das Angebot beschränkt sich aber meist auf industriell hergestellte und vor allem verpackte Ware. Silke Bernhardt setzt mit der „Fleischloserei“ einen lang fälligen Kontrapunkt.
Initialzündungen für Produktund Geschäftsideen ergeben sich oft in einem Moment der Unzufriedenheit mit einem status quo, aus einem Erleben von Mangel an Angebot und dem damit verbundenen Frust. Das gibt’s doch nicht, dass es das nicht gibt! Und wenn’s das Gewünschte dann doch nicht gibt? Dann bleibt als Ausweg nur mehr, es selbst zu machen, es zu erfinden, zu kreieren und auf den Markt zu bringen. So einen Moment erlebte die Photographin Silke Bernhardt bei einem Einkauf vor ein paar Monaten. Was sie suchte? Frische, unverpackte vegane Produkte.
Aus der Not eine Tugend

In der Zwangspause der Pandemie hatte Silke Bernhardt die Zeit, dieses Aha-Erlebnis zu verarbeiten und auch die nötige Zeit, um die Idee praxistauglichen umzusetzen. „Ich ernähre mich seit geraumer Zeit ohne Fleisch, aber so richtig ist mir der Umstand, dass es keine Frischware gibt erst im Lockdown bewusst geworden“, erzählt die Berufsphotographin. Wer sich vegetarisch/ vegan ernährt, ist es gewohnt, viel selbst zu kochen und der Kreativität bei der Speisenherstellung Raum zu geben – ergo wälzte Silke Bernhardt erst einmal die eigene Rezeptsammlung und jede Menge Kochbücher. Der leitende Gedanke war, eigenständige Produkte zu entwickeln, in der Sensorik (also Geschmack, Textur und Biss) die Zutaten nicht verleugnen und die auch Fleischtiger eine pfiffige Alternative bieten, wenn’s mal was ohne tierisches Eiweiß sein soll. „Es geht mir überhaupt nicht darum, Fleisch und tierisches Eiweiß zu imitieren“, so Bernhardt. Das wäre das Metier der großen Produzenten, die auf diesem Gebiet unterwegs sind, und die diese Aufgabe mit dem Einsatz von viel Technologie betreiben und damit nicht „ihr Ding“. Auch nicht ihre Sache ist die Missionierung von Konsumenten, Dogmatismus ist ihr fremd. Viel mehr „ihres“ ist die Herstellung rein pflanzlicher Produkte mit biologischen Zutaten und einer fein ausbalancierten Würzung, die sich an den geschmacklichen Eigenschaften konventioneller Fleischwaren orientiert, und die vor allem ohne lebensmitteltechnologische Spielereien auskommen. Woher dieses Know-how kommt? „Ich habe das Glück, dass sich in meinem Umfeld auch einige pensionierte Fleischer bewegen, mit denen ich bei der Entwicklung der Produkte und der Rezepturen einen intensiven Austausch hatte“, erzählt Silke Bernhardt ohne Namen zu nennen. Berührungsängste gäbe es auf beiden Seiten keine, vielmehr wäre die Begegnung von Neugier, Respekt und der Freude an der Weitergabe von Wissen und Experimentierlaune geprägt gewesen. Zu guter Letzt galt es noch einen passenden Namen zu finden, der ziemlich nahe liegend ausfiel: Fleischloserei. Für Bernhardt ein bewusst gewählter Hybrid aus Fleischlos und Fleischerei, und wenn sie mit der „ersten Veganen Fleischerei Wiens“ auftritt, ist das ein bewusster Grenzgang, der auch der Abgrenzung zu „konventionellen“ veganen Produkten dient. In den Supermärkten gibt es eine ganze Reihe an Produkten, die auf eine möglichst fleischähnliche Optik und Textur getrimmt sind – den Weg der hochtechnisierten Produktion und der Imitate will die Fleischloserei nicht einschlagen.