Die Tradition des Martinigansls ist fest in der österreichischen Kultur verankert. Jedes Jahr genießen die Österreicher etwa 1.300 Tonnen Gänsefleisch – das sind rund 0,13 Kilogramm pro Kopf, was etwa einem Gansl-Gericht entspricht. Doch die Realität sieht anders aus: Nur in einem von drei Fällen stammt das Gansl tatsächlich aus Österreich. Diese Diskrepanz ist alarmierend, insbesondere im Hinblick auf die hohen Standards, die in der heimischen Gänsehaltung gelten.
Hoher Anteil importierter Gänse
In der Gastronomie ist der Anteil importierter Gänse besonders hoch. Schätzungen zufolge stammen zwischen 70 und 80 Prozent des Gänsefleisches in Restaurants und Gasthäusern nicht aus Österreich. Die Hauptlieferanten sind Länder wie Ungarn, die für ihre günstigere Produktionsweise bekannt sind. Hannes Royer, Gründer des Vereins „Land schafft Leben“, kritisiert diese Entwicklung: „In der Gänsemast nimmt Österreich eine absolute Vorreiterrolle ein. Ausnahmslos jedes österreichische Gansl hat einen Auslauf. Auf EU-Ebene gibt es noch nicht einmal gesetzliche Mindeststandards für die Gänsehaltung. Man kann sich also vorstellen, wie die Tiere in Ländern wie Ungarn gehalten werden.“
Die heimischen Standards sind streng: Jeder Gans, egal ob biologisch oder konventionell gehalten, muss gemäß der Österreichischen Tierhaltungsverordnung ein Auslauf zur Verfügung stehen. Im Stall dürfen maximal 21 Kilogramm Gänse pro Quadratmeter gehalten werden, was etwa vier Gänsen zum Zeitpunkt der Schlachtung entspricht. Zudem muss jedes Tier mindestens 50 Quadratmeter Auslauf haben. In Fällen, wo die Gänse mehr Platz im Stall haben, ist weniger Auslauf erforderlich – doch der Standard bleibt hoch.
Preisunterschiede zwischen heimischen und importierten Gänsen
Die strengen Vorgaben in der österreichischen Gänsehaltung spiegeln sich auch in den Preisen wider. Frisches österreichisches Gansl kostet im Großhandel im Durchschnitt rund zehn Euro pro Kilogramm mehr als die Tiefkühlware aus Ungarn. Diese Preisunterschiede sind 2023 besonders stark ausgeprägt, da die importierten Gänse zuvor aufgrund höherer Rohstoffpreise und Ausfälle durch Vogelgrippe teurer waren. Dennoch bleibt die Preisgestaltung ein sensibles Thema, da viele Konsumenten oft nicht bereit sind, für die höhere Qualität zu bezahlen.
Verantwortung der Gastronomie
Die Gastronomie trägt eine erhebliche Verantwortung, wenn es um die Herkunft und die Qualität der angebotenen Produkte geht. In vielen Fällen wissen die Konsumenten nicht, woher das Gansl stammt, das sie genießen. Die Herkunftskennzeichnung könnte hier Transparenz schaffen und gleichzeitig die heimischen Produzenten unterstützen.
Die Tradition des Martinigansls steht in einem Spannungsfeld zwischen Preis, Qualität und Tierwohl. Es liegt an den Konsumenten und Gastronomen, informierte Entscheidungen zu treffen und die heimische Produktion zu unterstützen. Gleichzeitig ist es an der Zeit, dass die Gastronomie und der Gesetzgeber gemeinsam an einer transparenten Kennzeichnung der Produkte arbeiten, um sowohl Tieren als auch Produzenten gerecht zu werden. Nur so kann die Tradition des österreichischen Gansls in ihrer besten Form erhalten bleiben.